Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Zwischen Araknum und Profanum -
#1
- Religiöse Mystik und ihre Bedeutung für sozialpolitische Aufgaben

Ein Artikel aus der christlich katholischenZeitschrift "Religionen unterwegs":


Spiritualitatentagung, 4. Fo/ge,
76. - 79. 7. 2002,
"
Abtei St. Gabriel/Berthaldstein

In vierter Folge beschaftigten sich Mit glieder der großen Ordensgemeinschaf ten mit dem Anspruch der großen Weltreligionen an ihre eigenen Spiritualitäten. Das Ziel dieser gemeinsamen Überlegungen ist die Erschließung der Kräfte des Evangeliums für unsere heutige Zeit und Welt.

Einleitend wurde die Thematik präsentiert und präzisiert: Tempel (lat. templum), vom griechischen Wort temenon abgeleitet, bezeichnet einen ausgegrenzten Bezirk. Das Innerste des Heiligtums, das Fanum, darf nur von besonderen Personen, zu genauen Zeiten fur die Abhaltung gewisse Riten betreten werden. AuBerhalb die- ses Fanums befindet sich das Profanum, wo sich das tägliche Leben mit all seiner emanzipierten Autonomie, aber auch Defizienz abspielt. Das Arkanum (lat. arceo, arx) ist jener Schutz, der das Allerheilig ste vor Entweihung sichern solI.
In einem ersten Schritt referierte Univ.- Prof. Dr. Clemens Thoma SVD über den jiidischen Chassidismus als Erneuerungsbewegung des religisen und po- litischen Lebens. Sein Kern ist die Kabbala, eine Geheimlehre, deren zentraler Inhalt der göttliche Lebensfunke ist, den jeder im Tiefsten in sich trägt. Dieser Lebensfunke entströmt Gott selbst (Emanation) und solI auch wieder zu ihm zurülckfließen. Eine gestörte Schöpfungsordnung verhindert jedoch, daß aIle Funken wieder zu Gott gelangen, und deshalb muß sie wieder hergestellt werden (Tik- kun Ha-Olam). Dem Volk Israel kommt bei diesem Erlösungsprozeß eine entscheidende Rolle zu. Durch Gebet, gute Werke, Meditation und innere Reinigung nach den Lehren der Kabbala ist das Volk Isra- el Mitarbeiter Gottes bei der Wiederherstellung der Welt und hat dafür die missionarische Aufgabe der Sammlung.
Ein zweiter Schritt führte zu den politischen Implikationen der Botschaft Jesu.

(Univ.-Prof. P. Dr. Franz Zeilinger CssR) Der Zimmermann Jesus erfährt in der Begegnung mit Johannes dem Täufer den entscheidenden Anstoß für sein Sendungsbewußtsein. Er ruft in eine persönliche Nachfolge, d. h. in ein bindendes Lehrer- Schülerverhältnis. Dabei wendet er sich an Jünger, die aus einer unteren sozialen Schicht kommen und dies ausdriicklich zunächst zur Sammlung der verlorenen Schafe Israels. In seiner endzeitlichen Botschaft verkiindet er die anstehende Nähe Gottes. So setzt er in seinen Heilungen konkrete Zeichen bereits angebrochener Gottesherrschaft und drängt bloß weltliche Belange immer wieder an den Rand. Die bereits in Jesus angebrochene Spannung zwischen aktualisierter - präsentischer und konsequenter - futurischer Eschatologie setzt sich in den nachästerlichen Entwicklungen fort. Immer wieder geht es urn ein "Bereits" und ein "Doch-Noch-Nicht".
Im Anschluß daran wurde das Tagungsthema aus Sicht des Islams behandelt: Schöpfung und Paradies im Islam, das Gottesreich im Diesseits und Jenseits (Petrus Bsteh). Der Islam sieht die Zuriickgezogenheit als den Ort der Offenbarung und Sendung. Ein Arkanum im strengen Sinn kennt der Islam nicht. AIle Menschen können die Wege Gottes erkennen, das Wort Gottes und die Glaubensgemeinde helfen nur, sie zu gehen. Die Verfassung der Urgemeinde, die Scharia, gewährleistet ein gerechtes Leben - sie ist ein sicherer" Weg zur Wasserquelle" des Paradieses. Gott nimmt Rucksicht auf menschliche Bedingtheit und mutet niemandem Untragbares zu. Die zunachst verkiindete Naherwartung wurde im Lauf der Zeit auf eine bleibende Ordnung in der Welt
umgedeutet. i
Mit einer ganz neuen Weltsicht wurde der Buddhismus vorgestellt: "Buddhistischer Gleichmut des Individuums als Ziel geistlichen Strebens und seine Beziehung zum kosmisch politischen Gleichgewicht der Gemeinde." (Univ.-Prof. P. DDr. Hans Waldenfels SJ) Die Lebensgeschichte des Buddha ist beschreibbar mit einem Auszug aus dem Haus der Gewohnheiten mit dem Ziel, das Leiden, das durch die Anhänglichkeit an das Ego entsteht, durch Auflösung des Selbst (anata) immer wieder zu überwinden und somit das Nirvana zu erreichen. Der Buddhismus kennt durch den Mönchs- und Laien- stand einen nicht näher definierten, aber realen Unterschied im Grad der Vollkommenheit. Die "Leute in der Welt" kommen dadurch zum Heil, daß sie auf die Erfahrung anderer vertrauen (Boddhisatva) und sich durch die Anrufung des Namens anderer von deren Kraft tragen lassen.
Der letzte Teil führte uns wieder zurück rum Christentum: "Christliche Askese als rettender ,Rückzug aus der Welt' und christliches Zeugnis als anzustrebende , Wandlung dieser Welt'." Passive und aktive Soteriologie im Rahmen kirchlicher Gemeinden und Gemeinschaften. (Univ.- Prof. P. Dr. Dietrich Wiederkehr OFM- Cap) Die Soteriologie, d. h. die Gabe der Erlosung durch Jesus Christus und die Aneignung der Erlosung durch uns, be- deutet für uns soviel wie praktischer Weltbezug und gelebte Spiritualitat. Beide steuern sich gegenseitig. Der Gläubige kann die Welt einfach unter der Signatur des aufgerichteten und angenommenen Kreuzes betrachten. Dann wird die Christologie zu einer Kreuzestheologie und der Weltbezug besteht in der Kreuzesnachfolge. Die Welt kann aber auch in der Perspektive des verändernden Kreuzes betrachtet und erlebt werden, was zu einer erweiterten Schöpfungstheologie und einer ganzheitlicheren Soteriologie flührt: Gott wird hier viel deutlicher als Schöpfer und Erhalter einer offenen Welt, für die es lohnt, sich zu engagieren, gesehen. Es gibt auch hier das Kreuz, aber es ist ein Durchzug gleichsam durch ein "Nadelöhr" in eine beginnende neue Erde!

Wenn ich persönlich diese Tagung zusammenfassen will, so scheint mir als Ordensfrau Folgendes wichtig: Es gibt ein Arkanum des Heils in alIen Religionen, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise. Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte und konnte. Dies kann der Ausgangspunkt eines ehrlichen Dialoges der Weltreligionen mit ihr und untereinander sein. Im Judentum: Gott will alIen Menschen Heil und bedarf der Bundestreue seines Volkes, um die Schöpfung endgültig wiederherzustellen. Im Christentum: Jesus starb, um die ganze zerbrochene Schöpfung wieder herzustellen. Wir sind Mitarbeiter an der Erlosung. Im Islam: AIle Welt ist Abglanz der göttlichen Herrlichkeit und solI durch die gläubige Neuordnung zur Endgültigkeit gelangen. Im Buddhismus: Jenseits der Befangenheit "im Hause" solI der Mensch in den Strom des AIls tauchen, um von sich erlost zu werden.



Gudrun Schellner SSM; Wi,

RELIGIONEN unterwegs, Nr. 1 - Februar 2003
Zitieren
#2
Salam Abu Naim,

Du hast das Heft früher bekommen... Ich habe darin ein Zitat gefunden von P. Dumoulin, den ich noch persönlich kannte - ich werde mich an die Gespräche mit ihm wohl lange erinnern :)

"Die Mystiker aller Religionen legten einmütig Zeugnis ab für die Unbegreiflichkeit des höchsten Wesens, das sie im intuitiven Schauen berührten. Wenn sie vom Unaussprechlichen sprechen, bedienen sie sich oft trotz der Verschiedenheit des Glaubens und geistigen Hintergrunds fast der gleichen Worte. Sie nennen den großen Unbekannten mit allen Namen, um schließlich zu bekennen, daß Er unnennbar, ein unergründliches Geheimnis, ja ein 'Nichts' ist.

'Man kann den höchsten Gott mit allen Namen nennen,
man kann ihm wiederum nicht einen zuerkennen.' (Angelus Silesius)"

Wa salam
() qilin
Zitieren
#3
selam Quilin
...Das liegt vielleicht an den neuen Postverteilerzentren :wink:

"......ach die Liebe...!"
(überlieferte letzte Worte von Mevlana Celaleddin Rumi)

Selam
galib
Zitieren
#4
Salam Galib,

Rumi... das war der Angelhaken, mit dem ich die Mystik geschluckt habe :)
Ich war damals 15 oder 16 und ging an einem windigen Tag eine Staße hinunter, da blies der Wind mir ein abgerissenes Kalenderblatt zu, und das blieb an meinem Schuh hängen. Ich hob es auf, drehte es um und las:

'Wer Gott liebt, hat keine Religion außer Gott.' (Rumi)

Das hat mich getroffen wie ein Hammerschlag. Ich hatte zwar keine Ahnung, wer dieser Rumi sein könnte (für mich war das ein italienischer Motorroller - was einen halt interessiert in diesem Alter ;)), im Lexikon fand ich ihn auch nicht - aber der Spruch hat mich bis heute nicht verlassen, obwohl ich sonst vieles anders zu sehen gelernt habe. Näher kennengelernt habe ich Rumi erst Jahre später, bei einem Seminar über Sufismus, das der damalige ORF-Korrespondent in Kairo hielt, ein Schüler von Ernst Bannerth.
Und heute finde ich meine achtjährige Tochter hinter dem Bücherregal - in einen Band mit Rumi's Liebesgedichten vertieft... :D

Wa salam
() Wolfgang
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste