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Die Widersprüche des Allein de Benoist
#1
Vor kurzem habe ich "Wir und die anderen" von Alain de Benoist gelesen. Leider gab es das nur im "Junge Freiheit Verlag".

Während des Lesens habe ich mich mehrfach gewundert, wie der Autor zu den Neuen Rechten passen will. Er liefert vortreffliche Analysen des Begriffs der Identität. Erläutert, dass die Strukturen, in die wir hineingeboren werden, aus sich heraus keine Bedeutung für uns haben, sondern erst bedeutsam werden, wenn wir sie selbst annehmen. Dass Identität nichts statisches ist, sondern sich in einem Prozess der Wandlung immer selbst erschafft, von ihrem Wesen her nicht statisch, sondern dialogisch ist. So beschreibt er die Annahme eines statischen Ich, das sich von anderen permanent abgrenzen will und keine Offenheit mehr zeigt, als Pathologie der Identität. Am Ende des Buches kommt der große Widerspruch, so fängt Benoist an zu bemängeln, dass die Auflösung aller Grenzen keine Heimat mehr biete, dass sich der Mensch nicht mehr sicher sein kann, dort, wo er lebt, eine bestimmte Geisteshaltung oder ein bestimmtes Umfeld vorzufinden. Alain de Benoist verfällt selbst der Pathologie der Identität und scheint im Blick auf seine politische Agenda nicht mehr konsequente Schlüsse aus dem zu ziehen, was er in 2/3 seines Buches beschreibt.
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#2
(01-07-2016, 06:51)Reisender schrieb: Am Ende des Buches kommt der große Widerspruch, so fängt Benoist an zu bemängeln, dass die Auflösung aller Grenzen keine Heimat mehr biete, dass sich der Mensch nicht mehr sicher sein kann, dort, wo er lebt, eine bestimmte Geisteshaltung oder ein bestimmtes Umfeld vorzufinden.

Vorweg gesagt, ich kenne Alain Benoist jetzt nicht naeher und beziehe mich jetzt nur auf das bisschen, was Du geschrieben hast. Zunaechst einmal, so wie der Satz da steht, ist er sicherlich richtig. Ich sage das als jemand, der im Laufe seines Lebens oefter umgezogen ist und sich als Resultat eigentlich nirgendwo mehr zu Hause fuehlt. Als Heimatloser fuehle ich mich eigentlich am wohlsten unter anderen Heimatlosen. Die moegen zwar ganz andere Erfahrungen als ich haben, aber sie wissen, was es heisst, unter Fremden zu leben. Und Fremder bleibt man fast ueberall, wo man hinzieht. Ich bin auch in meiner Heimat nun Fremder, wegen der ganzen "komischen Ideen", die ich woanders aufgeschnappt habe. Im Westen der USA war das uebrigens am wenigsten ein Problem, da da fast jedermann Zugereister erster oder zweiter Generation war. Dadurch wurde man am ehesten so akzeptiert, wie man ist. Im Osten der USA ist das wiederum ganz anders.

Wenn man sich die Grafiken zur Unterstuetzung rechter Ideologien waehrend Wahlen so anschaut, werden diese Muster erkennbar. Klar, diese Unterstuetzung gibt's auch in Gegenden, die einen starken wirtschaftlichen Niedergang erlebt haben. Andererseits sind es aber oft genau die Gegenden, wo eigentlich kaum Fremde hingehen, weil sie weder fuer Touristen noch fuer andere Buerger desselben Landes irgendwie attraktiv sind. Beim Brexit waren das Gegenden im Osten Englands, wo's ausser Landschaft nichts anzuschauen gibt. Im Osten Deutschlands sind das zum Gutteil Gegenden, wo's nicht mal zu DDR-Zeiten West-Fernsehen gab. Es sind Gegenden, wo seit vielen Generationen dieselben Menschen leben und ihre Eigenarten pflegen, wo kaum einer hinzieht und die eher unternehmungslustige Jugend wegzieht. Das ist sicherlich stark identitaetsstiftend. Fuer erstrebenswert halte ich das aber nicht.

Es ist ein bisschen schade, dass die Integration der Regionen erst ueber den Nationengedanken gehen musste. Wenn man sich vorstellt, wie viel lokale Identitaet das Nationenprinzip zerstoert hat, sieht man, wo eigentlich Identitaet verloren ging. All die verschiedenen deutschen Sprachen sind mehr oder weniger tot, seit es Schule auf Hochdeutsch gibt, und natuerlich heute auch Fersehen (dieser Prozess lief schon in den 1920er und 1930er Jahren). Da wurde also schon einmal Identitaet getauscht, die Identitaet der eigentlichen Heimat in der Region gegen eine nationale Identitaet. Der Europa-Gedanke geht jetzt den naechsten Schritt; er will nationale Identitaet gegen europaeische Identitaet tauschen. Der Widerstand kommt jetzt vor allem von dort, wo der erste Schritt noch nicht ganz getan und die Wahrnehmung des Verlusts noch am hoechsten ist, auch wenn nicht ganz realisiert wird, was da eigentlich verloren geht, und an wen. Ansonsten wuerde ein Einwohner aus East Anglia nicht auf die Idee kommen, die Londoner seien so wie sie.

Ein Ausweg daraus war im Prinzip der Gedanke vom "Europa der Regionen"; also Erhalt und Staerkung der regionalen Identitaet in einem politisch vereinten Europa. Leider steht der Nationalgedanke dem entgegen.
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#3
(01-07-2016, 08:42)Ulan schrieb: - - -
Ein Ausweg daraus war im Prinzip der Gedanke vom "Europa der Regionen"; also Erhalt und Staerkung der regionalen Identitaet in einem politisch vereinten Europa. Leider steht der Nationalgedanke dem entgegen.

Die Deutschen sind ein hervorragendes Beispiel dafür, dass ein Volk trotz eines noch vorhandenen Restes an nationalem Bewusstsein der Weltgemeinschaft dienstbar sein kann. Wenn demnächst aber herauskommt, dass breite Schichten der Deutschen ausgenommen wurden (und werden) wie Schlachtvieh, ist’s mit der Ruhe vorbei. So sehr der Deutsche Erhebungen seit den schlimmen Erfahrungen mit den Bauernkriegen auch fürchten mag. Fehlt jetzt nur noch der Kopf der Erhebung.
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#4
Konform, du liebst in rätselhaften Andeutungen zu schreiben! Ein Volk, das notorisch nicht zu Wahlen geht, ist eher träge, indifferent und bestenfalls (individuell) egozentriert. Da macht auch ein "ein Kopf der Erhebung" nichts daraus.

(01-07-2016, 06:51)Reisender schrieb: Er liefert vortreffliche Analysen des Begriffs der Identität.
Gewiss, ein schillernder Begriff, der fast nur auf das Individuelle zielt. Kaum jemand kann sich mit einer größeren Gesellschaft (und deren Denken und Handeln) identifizieren. Ich bin sehr skeptisch, was "Identität" oder das Gefühl dahinter betrifft.

(01-07-2016, 06:51)Reisender schrieb: Erläutert, dass die Strukturen, in die wir hineingeboren werden, aus sich heraus keine Bedeutung für uns haben, sondern erst bedeutsam werden, wenn wir sie selbst annehmen.
Was eine Binsenweisheit! Das gilt doch für alles, was sich aus dem vergesellschafteten Zusammenleben ergibt. Oder fallen dir Gegenbeispiele ein?

(01-07-2016, 06:51)Reisender schrieb: So beschreibt er die Annahme eines statischen Ich, das sich von anderen permanent abgrenzen will und keine Offenheit mehr zeigt, als Pathologie der Identität.
Recht hat er, zumal deshalb, weil es für die Abgrenzung keinerlei sachlichen Grund gibt - außer dem, dass Abgrenzung bequemer ist, Kennenlernen und Nachdenken erspart.

(01-07-2016, 06:51)Reisender schrieb: Alain de Benoist verfällt selbst der Pathologie der Identität ...
So, wie du den ersten Teil des Buches beschreibst, ist dies in der Tat unverständlich.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#5
(01-07-2016, 08:42)Ulan schrieb: ch mich eigentlich am wohlsten unter anderen Heimatlosen. Die moegen zwar ganz andere Erfahrungen als ich haben, aber sie wissen, was es heisst, unter Fremden zu leben. Und Fremder bleibt man fast ueberall, wo man hinzieht.
Ist denn das "unter Fremden leben" nicht auch eine Erfahrung?
Meiner Auffassung nach gibt es unabhängig von den geographischen Kulturen die ideelle Subkulturen, die sich durch Ideen vereinigen. Die übergeordnete Kultur, in die man hineingeboren wird, mag hier als Rahmen dienen, wie z.b. die Sprache. Was wir innerhalb der Sprache wiederum formulieren, ist nicht an die übergeordnete Kultur gebunden, sondern transzendiert sie. Wenn z.b. ein Europäer, Afrikaner oder Asiate die Idee des Individuums formuliert, dann tut er das in seiner Kultur/Sprache. Dennoch würden sich alle drei, wenn sie z.b. eine Kommune gründen besser verstehen als mit Menschen, die mit ihnen die Sprache teilen, aber sonst keine Gemeinsamkeiten haben. Mit dem individualistischen Türken kann ich persönlich besser zusammenleben als mit dem kollektivistischen Nationalisten.
Zitat:Ein Ausweg daraus war im Prinzip der Gedanke vom "Europa der Regionen"; also Erhalt und Staerkung der regionalen Identitaet in einem politisch vereinten Europa. Leider steht der Nationalgedanke dem entgegen.

M.E. wäre das nur ein Austausch eines Kollektivs gegen ein anderes. Der individuellen Entwicklung kann das entgegen stehen. Ich habe kein Problem damit, dass in der Konsequenz der Verbesserung der Welt eine ethnopluralistische Weltsituation entsteht, wenn es denn durch die Menschen so wächst. Von künstlicher Beschränkung von Freiheitsrechten, um eine ethnopluralistische Situation künstlich herbeizuführen, halte ich gar nichts, denn sie richtet sich immer gegen das Individuum.
Die "Identitäre Gemeinschaft" agitiert letztlich so, dass der Ethnopluralismus eine Konsequenz der freien Entwicklung des Menschen wäre, tatsächlich demonstrieren sie aber für politische Interventionen und damit für Beschränkung der freien Möglichkeiten des Individuums.
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#6
(01-07-2016, 20:41)Ekkard schrieb: Gewiss, ein schillernder Begriff, der fast nur auf das Individuelle zielt. Kaum jemand kann sich mit einer größeren Gesellschaft (und deren Denken und Handeln) identifizieren. Ich bin sehr skeptisch, was "Identität" oder das Gefühl dahinter betrifft.

Der Grundgedanke hinter diesen Argumentationen ist immer der gleiche geblieben. Er zieht sich durch alle rechten Ebenen, vom Nationalsozialismus bis hin zur heutigen Neuen Rechten.
Die Kultur determiniere den Menschen, deshalb müsse der Mensch als Teil einer spezifischen Ort-Zeit-Konzeption betrachtet werden und die Kultur auch gegen den freien Willen des Individuums erhalten werden.
Das ist die Argumentationslinie. Die Nazis haben biologistisch gedacht, die heutigen Nationalisten denken kulturell-biologisch und verengen Identität als solche, und die Neue Rechte argumentiert pfiffig, indem sie gleich die Linke mit ins Boot holt, dass die Ideen Emanzipation und Individualität etwas genuin europäisch Gewachsenes wäre und damit sämtliche Freiheitsrechte, die unser heutiges Europa kennt, Teil unserer Kultur und zu verteidigen seien.
Dabei wird immer übersehen, dass der Individualismus quasi transzendent ist und in jeder Kultur auftritt und dass die Beschneidung von Freiheitsrechten bestimmter Menschen, wie z.B. die Begrenzung ihrer Reisemöglichkeiten, damit jede Kultur bei sich bleibe, schon gegen die europäischen Werte gerichtet ist.

Zitat:Was eine Binsenweisheit! Das gilt doch für alles, was sich aus dem vergesellschafteten Zusammenleben ergibt. Oder fallen dir Gegenbeispiele ein?

Natürlich ist das eine Binsenweisheit, allerdings nicht in der rechten Szene, die immer noch der Meinung ist, dass die Kultur den Menschen determiniere. Wenn Benoist hier schreibt, dass die natürlichen Zugehörigkeiten quasi aus sich heraus irrelevant sind, ist das hinsichtlich Benoist's Rolle als Vordenker der neuen Rechten schon interessant.

Zitat:Recht hat er, zumal deshalb, weil es für die Abgrenzung keinerlei sachlichen Grund gibt - außer dem, dass Abgrenzung bequemer ist, Kennenlernen und Nachdenken erspart.

Er hatte es so formuliert, dass es gegen das "dialogische Selbst" gerichtet sei, weil Ausgrenzung den Dialog verhindere.
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#7
(01-07-2016, 20:41)Ekkard schrieb: Konform, du liebst in rätselhaften Andeutungen zu schreiben!

Ein wenig ausführlicher unten. Deutlicher tu ich nicht werden... Icon_cheesygrin

(01-07-2016, 20:41)Ekkard schrieb: Ein Volk, das notorisch nicht zu Wahlen geht...

Meines Wissens liegt die Wahlbeteiligung in den USA in der Regel kaum über 50 %.
(01-07-2016, 20:41)Ekkard schrieb: ...ist eher träge, indifferent und bestenfalls (individuell) egozentriert. Da macht auch ein "ein Kopf der Erhebung" nichts daraus.

Viel empfinden, dass das Maß nun voll ist. Frau Dr. Merkel sollte sich umgehend um ein Gegensteuern bemühen. Die aktuelle Rentenerhöhung kann nur ein Anfang sein.
Falls nun jemand auf die Idee kommen sollte, auf den Stand der öffentlichen Verschuldung hinzuweisen, sei diesem die Beschaffung eines Tachenrechners empfohlen - einen mit genügend Kapazität. Leider wird es immer schwieriger, einen Teil des der Bevölkerung heimlich abgezwackten und oft eben so heimlich ins Ausland verbrachten Geldes zurückzuholen. Deutsche "Anleger" sind auf Zurückholung des im Ausland untergebrachten Geldes überhaupt nicht scharf, wie der bemerkenswerte Einsatz ihrer Medien zugungsten des Rücknahme des britischen Referendums zeigt...

Das alles wird der Nachfolger der Frau Dr. Merkel - der "Kopf der Erhebung" - den Deutschen aber deutlicher sagen.
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