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Wenn und Aber
#31
Hallo Sangus!

Entschuldige, dass ich erst jetzt antworte. Ich hatte schon einiges direkt nach Deinem post getextet, aber ich musste zwischendurch weg, und dananch kriegte ich die Kurve nicht mehr.

Aber weil heute in einem anderen Thread eine ähnliche Thematik aufgetaucht ist,
http://religionsforum.de/showthread.php?tid=1395&pid=28371#pid28371
will ich nun das hier nun beantworten.


Zitat:
Sangus schrieb:Hi Karla,
[quote=Karla]
Der Satz "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht" hingegen bringt mich ins Grübeln. Was bedeutet denn genau: "etwas gibt es"? Von welcher Perspektive aus soll es denn etwas geben oder nicht geben? [...]
Also "gibt" es dann auch sämtliche "Götter", die Menschen sich vorstellen: sie sind vorhanden. Denn "Vorstellungen" haben wir von allen Dingen. Wir sagen es nur nicht immer dazu. [...]
Das, was als wirkend wahrgenommen wird, "gibt" es. Auch ein Phantomschmerz " existiert, selbst wenn jeder ihn als Nonsens erklären würde.
An der Frage nach "objektiver Existenz" habe sich nun wohl schon andere Köpfe dieselben zerbrochen als wir hier in diesem Forum.
Und natürlich liegt den allzu selbstbewussten Unterscheidungen zwischen "real" und "nicht real" oft ein eher naives Welt- und Wirklichkeitsverständnis zu Grunde.

Aber andererseits ist mir die "irgendwie-existiert-alles-was-wirkt"-Haltung auch etwas zu wischi-waschi. Es erinnert mich an die Position, die Ekkard hier oft bezieht, wenn sich Diskussionen über die Frage nach intersubjektiver Gültigkeit von naturwissenschaftlichen Theorien und Hypothesen einerseits und Glaubensüberzeugungen andererseits entwickeln:
Ich glaube, Du hast mich hier missverstanden. Dieses "wischi-waschi" will ich genauso wenig wie Du. Dennoch kann ich ja nun nicht eine Differenzierung vom Tisch wischen, die mir klar vor Augen steht.
In dem oben verlinkten Thread habe ich das vielleicht deutlicher ausgedrückt, was ich meinte: Was jemand mit einem Wort assoziiert, ist seine persönliche Vorstellung davon, und diese existiert für ihn. Und zwar in der Qualität der Vorstellug. Das kann nicht wegdiskutiert werden.

Den Schritt zu dem Thema Intersubjektivität hatte ich in diesem Thread hier ja nicht gemacht. Die Diskussion, auf die Du Dich hier vielleicht beziehst, habe ich ja damals mitgemacht, und gerade ich habe entschieden darauf bestanden, dass Glaubensüberzeugungen kategorial von intersubjektiven Beschreibungen eines holzernen Tisches unterschieden werden.

Zitat:Letztlich sei doch alles "gesellschaftliche Konvention", auch naturwissenschaftliche Modelle wären schlussendlich mentale Konstruktionen und würden sich in ihrem ontologischen Wirklichkeits-Status damit nicht grundsätzlich von Gottesvorstellungen und religiösen Weltdeutungen unterscheiden.
Diese Ansicht aber teile ich nicht. Dennoch bedeutet der Ausdruck "etwas gibt es", oder "Gott gibt es" sprachkritisch gesehen nur dies, was ich eben schrieb: alles, was ich mir vorstelle, hat eine Existenz, sobald ich die Sprache bemühe. Die Sprache hat für jeden Begriff überlieferte Merkmalsbündelungen, und die haben ein Eigenleben, sind als sprachliche Entitäten vorhanden. Aber nur als solche. Und meine persönliche vorsprachliche "Erfahrung", ist als psychische Entität vorhanden.

Als "gesellschatliche Konvention" oder "Absprache" aber würde ich beides nicht bezeichnen. Das Sprachsystem hat keiner mittels Absprache erfunden, sondern sie ist aus Millionen Erfahrungen entstanden, die dann aber festgeklopft wurden, verdinglicht wurden. Dieser ganze Ballast ist schon da, bevor ich meinen ersten Schrei mache, das heißt, bevor ich mein erstes Getöse mache - als "Schrei" wird das nur gedeutet, weil es das Wort schon gibt. Darum "singen" auch die Vögel, obwohl sie gar nicht singen, und darum kann der Kaffee genauso kochen wie meine Mutter kocht.

Die Sprache deckt nicht ab, was ich wirklich meine, darum sagt der Satz "Gott gibt es" oder "Gott gibt es nicht" eigentlich gar nichts. Es ist ein Hingeplapper. Wenn jemand damit meint: "Wenn ich in den Zug einsteige, obwohl mir eben Handtasche mit Portemonnaie und Ausweis und Fahrkarte
geklaut wurde, wird mich kein Schaffner in den nächsten fünf Stunden rausschmeißen, weil ich von Gott geführt werde", dann kann er auch sagen: Es gibt ein lenkendes Schicksal, oder: Mein geschulter Wille wird dafür sorgen, dass mich keiner rausschmeißen wird.

Letztlich sind das gefühlte Überzeugungen, aus denen kein Religionskozept mit Notwendigkeit folgt. Da sind wir ja einer Meinung. Aber diese Überzeugungen sind halt trotzdem nicht als non-existent zu bezeichnen, wenn es nach mir geht.

Andererseits aber gibt es Intersubjetkivität da, wo wir Menschen alle gleich konstruiert sind. Wenn ich eine Tastatur kaufe, ist sie für meine Hände konstruiert - weil wir alle Hände haben. Das ist keine Glaubenssache, dass ich Hände habe, und ich weiß, dass sie morgen auch da sind und nicht irgendwelche Pfoten. Auch morgen wird meine Tastatur nicht besser von meinem Hund als von mir bedient werden können.

Das ist keine Konvention, sondern die Bedingtheit unserer physischen Natur. Dass mein Bleistift immer runterfällt und nie rauf, ist keine Übereinkunft. Übereinkunft ist lediglich, was ich als "runter" und was als "rauf" bezeichne. Aber wenn das mal definiert ist, können wir nicht erwarten, dass der Bleistift morgen mal die andere Richtung fällt. Es sei denn, unsere Erde kreiselt aus ihrer Bahn...
Darin gebe ich Dir also auch Recht.


Zitat:Obgleich ich nun natürlich auch nicht die letzte Antwort auf die Frage nach "Sein" oder "Nicht-Sein" geben kann, habe ich für mich ein recht taugliches Maß für die Differenzierung zwischen "realer Existenz" und "mentalem Konstrukt" gefunden: Für mich macht sich der Unterschied fest an der Antwort auf die Frage, ob das "Etwas", das in meiner Vorstellung repräsentiert wird, wohl auch noch existieren wird, wenn die letzte Vorstellung davon ausgestorben ist.
Das ist allerdings jetzt wirklich heikel. Unser menschlicher Körper "übersetzt" ja die Außenreize. Wenn keiner mehr da ist, der diese übersetzt, ist da eventuell ein amorpher Klumpen, über den gar keine Aussage gemacht werden kann. Es sind ja wir die Sortiermaschine, wir mit unseren physischen und mentalen Bedinungen. Der hohe Pfiff, den ein Hund hören kann, ist dann weg, wenn es keinen Hund mehr gibt, der ihn hört. Niemand kann die Hörbarkeit mehr nachweisen.


Zitat:In diesem Zusammenhang sind für mich alle kulturellen Artefakte keine real existierenden Dinge, sondern mentale Konstrukte. Eine Sinfonie beispielsweise hört in meinem Weltbild in dem Augenblock auf zu "sein", in dem niemand mehr da ist, der sie hören und damit sozusagen "konstruieren" kann.
Selbst ein in alle Ewigkeit mit Beethovens 9ter vor sich hin dudelnder CD-Spieler erzeugt in der realen Welt lediglich ein "Geräusch", bedeutungslosen Schall, der erst dadurch zur "Sinfonie" wird, indem er gehört und in einem menschlichen Gehirn zu eben dieser konstruiert wird.
Ah - ja. Das ist ja das, was ich oben auch sagte. Aber das Gleiche gilt für den Tisch. Wenn niemand mehr weiß, wie man einen ganz bestimmten Tisch baut, dann hört auch er auf, in Deinem Sinne zu sein. Alles Gemachte hört dann auf zu sein. Und wenn kein Mensch da ist, der den Tisch sieht, dann ist auch er ein bedeutungsloser amorpher Haufen - falls es nur noch Insekten gibt. Das Objekt gestaltet sich nach Maßgabe des Subjekts - daran ist kein Vorbeigehen.


Zitat:Die Sonne z.B. wird wohl auch noch existieren, wenn das mentale Konzept "Sonne" lange ausgestorben ist, und sie hat wohl auch bereits existiert, bevor das entsprechende Pendant in unserer Vorstellungswelt erstmalig auftauchte.
Dann reduzierst Du die "echten Dinge" auf das, was vom Menschen nicht gemacht und nicht verändert wurde. Also auf die reine Natur. Jegliche Architektur, jegliche erbaute Stadt ist wie die Sinfonie nicht wiederbelebbar, wenn das Artefakt und der Plan verschwunden ist.

Damit definierst Du also das als echte Existenz, wo das Mentale keine Rolle spielt. Das kann man tun. Aber ist es das, was Du wolltest? Und wie sieht die Ameise die Sonne? Das Wort "Sonne" ist auf uns Menschen zugeschnitten worden. Den Feuerball sehen nur wir.


Zitat:Für mich handelt es sich dabei vielmehr um die sprachliche Verdinglichung von Kräften, Empfindungen, Sehnsüchten und Emotionen, die wir als wesentlich für unser Leben sehen und von denen wir uns abhängig und getrieben empfinden.
Das sehe ich genauso auch. Aber wir verdinglichen sprachlich ALLES. Auch die Sonne. Wenn wir präzise untersuchen, welche Vorstellung wir davon haben, dann werden die Assoziationen so vielfältig sein wie bei einer Gottesvorstellung. Nur wenige Merkmale der Sonne - und zwar die, die für uns überlebensnotwendig sind - sehen wir alle gleich: dass sie Krebs erzeugt, wenn wir zu lange uns ihren Strahlen aussetzen zum Beispiel. Das ist ein intersubjektives Merkmal der Sonne - weil wir alle ähnliche Körper haben. Und dieses Merkmal gilt nicht für die Ameise.
Oder dass sie uns heiter macht. Das gilt aber auch nicht für die Ameise.
Wenn wir als Menschen die Sonne nicht mehr sehen, dann ist sie so, wir wir sie uns vorstellen, verschwunden.


Zitat:Religion ist für mich demnach auch nicht etwas, das als Offenbarung "metaphysischer Wirklichkeit" sozusagen "von außen" über den Menschen kommt. Religion ist für mich etwas, das durch und durch aus dem Innersten des Menschen herausdrängt. Sie ist also in dem Sinne "real", als dass sie offenbar untrennbar und unvermeidbar mit der Existenz von Menschen einhergeht.
Nichts anderes habe ich gemeint.


Zitat:Aber in demselben Augenblick, in dem der letzte Mensch seinen letzten Atemzug getan haben wird, wird auch jede Religion, jeder Gott, jeder Engel und jeder Heilige aufgehört haben, zu existieren ...
Die Vorstellung davon wird aufhören zu existieren. Und es sterben auch zu Lebzeiten jede Menge Vorstellungen. Die menschliche Sprache, die etwas als "heilig" bezeichnet, hat damit nicht behauptet, dass es etwas Heiliges gibt. Die menschliche Sprache, die etwas als "Sonne" bezeichnet, hat damit nicht behauptet, dass es etwas wie Sonne gibt. Sie hat nur behauptet, dass gewisse Merkmale, auf die der Mensch reagiert, mit einem bestimmten Wort versehen wurden. Und wer das einmal wirklich begriffen hat, der sieht die Beeinflussung und Dogmatisierung durch die Sprache in allem und jedem.
Mit dem letzten Atemzug verschwinden sämtliche Konstruktionen, weil sie nur für die Lebenden zum Überleben geschaffen wurden. Nicht nur die religiösen Konstruktionen, sondern auch die Beziehungen zu allem und jedem, was mir auf der Erde begegnet ist. Und mir kann nichts begegnen, zu dem ich keine Beziehung habe.

Trotzdem gibt es intersubjetive Fakten, solange wir lebend auf der Erde sind. Das Merkmal "heiß" ist ein Fakt, darum darf ich nicht auf die Herdplatte packen, wenn sie glüht.
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#32
Hallo Sangus!

Entschuldige, dass ich erst jetzt antworte. Ich hatte schon einiges direkt nach Deinem post getextet, aber ich musste zwischendurch weg, und danach kriegte ich die Kurve nicht mehr.

Aber weil heute in einem anderen Thread eine ähnliche Thematik aufgetaucht ist,
http://religionsforum.de/showthread.php?tid=1395&pid=28371#pid28371
will ich nun das hier nun beantworten.


Zitat:
Sangus schrieb:Hi Karla,
[quote=Karla]
Der Satz "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht" hingegen bringt mich ins Grübeln. Was bedeutet denn genau: "etwas gibt es"? Von welcher Perspektive aus soll es denn etwas geben oder nicht geben? [...]
Also "gibt" es dann auch sämtliche "Götter", die Menschen sich vorstellen: sie sind vorhanden. Denn "Vorstellungen" haben wir von allen Dingen. Wir sagen es nur nicht immer dazu. [...]
Das, was als wirkend wahrgenommen wird, "gibt" es. Auch ein Phantomschmerz " existiert, selbst wenn jeder ihn als Nonsens erklären würde.
An der Frage nach "objektiver Existenz" habe sich nun wohl schon andere Köpfe dieselben zerbrochen als wir hier in diesem Forum.
Und natürlich liegt den allzu selbstbewussten Unterscheidungen zwischen "real" und "nicht real" oft ein eher naives Welt- und Wirklichkeitsverständnis zu Grunde.

Aber andererseits ist mir die "irgendwie-existiert-alles-was-wirkt"-Haltung auch etwas zu wischi-waschi. Es erinnert mich an die Position, die Ekkard hier oft bezieht, wenn sich Diskussionen über die Frage nach intersubjektiver Gültigkeit von naturwissenschaftlichen Theorien und Hypothesen einerseits und Glaubensüberzeugungen andererseits entwickeln:
Ich glaube, Du hast mich hier missverstanden. Dieses "wischi-waschi" will ich genauso wenig wie Du. Dennoch kann ich ja nun nicht eine Differenzierung vom Tisch wischen, die mir klar vor Augen steht.
In dem oben verlinkten Thread habe ich das vielleicht deutlicher ausgedrückt, was ich meinte: Was jemand mit einem Wort assoziiert, ist seine persönliche Vorstellung davon, und diese existiert für ihn. Und zwar in der Qualität der Vorstellug. Das kann nicht wegdiskutiert werden.

Den Schritt zu dem Thema Intersubjektivität hatte ich in diesem Thread hier ja nicht gemacht. Die Diskussion, auf die Du Dich hier vielleicht beziehst, habe ich ja damals mitgemacht, und gerade ich habe entschieden darauf bestanden, dass Glaubensüberzeugungen kategorial von intersubjektiven Beschreibungen eines holzernen Tisches unterschieden werden.

Zitat:Letztlich sei doch alles "gesellschaftliche Konvention", auch naturwissenschaftliche Modelle wären schlussendlich mentale Konstruktionen und würden sich in ihrem ontologischen Wirklichkeits-Status damit nicht grundsätzlich von Gottesvorstellungen und religiösen Weltdeutungen unterscheiden.
Diese Ansicht aber teile ich nicht. Dennoch bedeutet der Ausdruck "etwas gibt es", oder "Gott gibt es" sprachkritisch gesehen nur dies, was ich eben schrieb: alles, was ich mir vorstelle, hat eine Existenz, sobald ich die Sprache bemühe. Die Sprache hat für jeden Begriff überlieferte Merkmalsbündelungen, und die haben ein Eigenleben, sind als sprachliche Entitäten vorhanden. Aber nur als solche. Und meine persönliche vorsprachliche "Erfahrung", ist als psychische Entität vorhanden.

Als "gesellschatliche Konvention" oder "Absprache" aber würde ich beides nicht bezeichnen. Das Sprachsystem hat keiner mittels Absprache erfunden, sondern sie ist aus Millionen Erfahrungen entstanden, die dann aber festgeklopft wurden, verdinglicht wurden. Dieser ganze Ballast ist schon da, bevor ich meinen ersten Schrei mache, das heißt, bevor ich mein erstes Getöse mache - als "Schrei" wird das nur gedeutet, weil es das Wort schon gibt. Darum "singen" auch die Vögel, obwohl sie gar nicht singen, und darum kann der Kaffee genauso kochen wie meine Mutter kocht.

Die Sprache deckt nicht ab, was ich wirklich meine, darum sagt der Satz "Gott gibt es" oder "Gott gibt es nicht" eigentlich gar nichts. Es ist ein Hingeplapper. Wenn jemand damit meint: "Wenn ich in den Zug einsteige, obwohl mir eben Handtasche mit Portemonnaie und Ausweis und Fahrkarte
geklaut wurde, wird mich kein Schaffner in den nächsten fünf Stunden rausschmeißen, weil ich von Gott geführt werde", dann kann er auch sagen: Es gibt ein lenkendes Schicksal, oder: Mein geschulter Wille wird dafür sorgen, dass mich keiner rausschmeißen wird.

Letztlich sind das gefühlte Überzeugungen, aus denen kein Religionskozept mit Notwendigkeit folgt. Da sind wir ja einer Meinung. Aber diese Überzeugungen sind halt trotzdem nicht als non-existent zu bezeichnen, wenn es nach mir geht.

Andererseits aber gibt es Intersubjetkivität da, wo wir Menschen alle gleich konstruiert sind. Wenn ich eine Tastatur kaufe, ist sie für meine Hände konstruiert - weil wir alle Hände haben. Das ist keine Glaubenssache, dass ich Hände habe, und ich weiß, dass sie morgen auch da sind und nicht irgendwelche Pfoten. Auch morgen wird meine Tastatur nicht besser von meinem Hund als von mir bedient werden können.

Das ist keine Konvention, sondern die Bedingtheit unserer physischen Natur. Dass mein Bleistift immer runterfällt und nie rauf, ist keine Übereinkunft. Übereinkunft ist lediglich, was ich als "runter" und was als "rauf" bezeichne. Aber wenn das mal definiert ist, können wir nicht erwarten, dass der Bleistift morgen mal die andere Richtung fällt. Es sei denn, unsere Erde kreiselt aus ihrer Bahn...
Darin gebe ich Dir also auch Recht.


Zitat:Obgleich ich nun natürlich auch nicht die letzte Antwort auf die Frage nach "Sein" oder "Nicht-Sein" geben kann, habe ich für mich ein recht taugliches Maß für die Differenzierung zwischen "realer Existenz" und "mentalem Konstrukt" gefunden: Für mich macht sich der Unterschied fest an der Antwort auf die Frage, ob das "Etwas", das in meiner Vorstellung repräsentiert wird, wohl auch noch existieren wird, wenn die letzte Vorstellung davon ausgestorben ist.
Das ist allerdings jetzt wirklich heikel. Unser menschlicher Körper "übersetzt" ja die Außenreize. Wenn keiner mehr da ist, der diese übersetzt, ist da eventuell ein amorpher Klumpen, über den gar keine Aussage gemacht werden kann. Es sind ja wir die Sortiermaschine, wir mit unseren physischen und mentalen Bedinungen. Der hohe Pfiff, den ein Hund hören kann, ist dann weg, wenn es keinen Hund mehr gibt, der ihn hört. Niemand kann die Hörbarkeit mehr nachweisen.


Zitat:In diesem Zusammenhang sind für mich alle kulturellen Artefakte keine real existierenden Dinge, sondern mentale Konstrukte. Eine Sinfonie beispielsweise hört in meinem Weltbild in dem Augenblock auf zu "sein", in dem niemand mehr da ist, der sie hören und damit sozusagen "konstruieren" kann.
Selbst ein in alle Ewigkeit mit Beethovens 9ter vor sich hin dudelnder CD-Spieler erzeugt in der realen Welt lediglich ein "Geräusch", bedeutungslosen Schall, der erst dadurch zur "Sinfonie" wird, indem er gehört und in einem menschlichen Gehirn zu eben dieser konstruiert wird.
Ah - ja. Das ist ja das, was ich oben auch sagte. Aber das Gleiche gilt für den Tisch. Wenn niemand mehr weiß, wie man einen ganz bestimmten Tisch baut, dann hört auch er auf, in Deinem Sinne zu sein. Alles Gemachte hört dann auf zu sein. Und wenn kein Mensch da ist, der den Tisch sieht, dann ist auch er ein bedeutungsloser amorpher Haufen - falls es nur noch Insekten gibt. Das Objekt gestaltet sich nach Maßgabe des Subjekts - daran ist kein Vorbeigehen.


Zitat:Die Sonne z.B. wird wohl auch noch existieren, wenn das mentale Konzept "Sonne" lange ausgestorben ist, und sie hat wohl auch bereits existiert, bevor das entsprechende Pendant in unserer Vorstellungswelt erstmalig auftauchte.
Dann reduzierst Du die "echten Dinge" auf das, was vom Menschen nicht gemacht und nicht verändert wurde. Also auf die reine Natur. Jegliche Architektur, jegliche erbaute Stadt ist wie die Sinfonie nicht wiederbelebbar, wenn das Artefakt und der Plan verschwunden ist.

Damit definierst Du also das als echte Existenz, wo das Mentale keine Rolle spielt. Das kann man tun. Aber ist es das, was Du wolltest? Und wie sieht die Ameise die Sonne? Das Wort "Sonne" ist auf uns Menschen zugeschnitten worden. Den Feuerball sehen nur wir.


Zitat:Für mich handelt es sich dabei vielmehr um die sprachliche Verdinglichung von Kräften, Empfindungen, Sehnsüchten und Emotionen, die wir als wesentlich für unser Leben sehen und von denen wir uns abhängig und getrieben empfinden.
Das sehe ich genauso auch. Aber wir verdinglichen sprachlich ALLES. Auch die Sonne. Wenn wir präzise untersuchen, welche Vorstellung wir davon haben, dann werden die Assoziationen so vielfältig sein wie bei einer Gottesvorstellung. Nur wenige Merkmale der Sonne - und zwar die, die für uns überlebensnotwendig sind - sehen wir alle gleich: dass sie Krebs erzeugt, wenn wir zu lange uns ihren Strahlen aussetzen zum Beispiel. Das ist ein intersubjektives Merkmal der Sonne - weil wir alle ähnliche Körper haben. Und dieses Merkmal gilt nicht für die Ameise.
Oder dass sie uns heiter macht. Das gilt aber auch nicht für die Ameise.
Wenn wir als Menschen die Sonne nicht mehr sehen, dann ist sie so, wir wir sie uns vorstellen, verschwunden.


Zitat:Religion ist für mich demnach auch nicht etwas, das als Offenbarung "metaphysischer Wirklichkeit" sozusagen "von außen" über den Menschen kommt. Religion ist für mich etwas, das durch und durch aus dem Innersten des Menschen herausdrängt. Sie ist also in dem Sinne "real", als dass sie offenbar untrennbar und unvermeidbar mit der Existenz von Menschen einhergeht.
Nichts anderes habe ich gemeint.


Zitat:Aber in demselben Augenblick, in dem der letzte Mensch seinen letzten Atemzug getan haben wird, wird auch jede Religion, jeder Gott, jeder Engel und jeder Heilige aufgehört haben, zu existieren ...
Die Vorstellung davon wird aufhören zu existieren. Und es sterben auch zu Lebzeiten jede Menge Vorstellungen. Die menschliche Sprache, die etwas als "heilig" bezeichnet, hat damit nicht behauptet, dass es etwas Heiliges gibt. Die menschliche Sprache, die etwas als "Sonne" bezeichnet, hat damit nicht behauptet, dass es etwas wie Sonne gibt. Sie hat nur behauptet, dass gewisse Merkmale, auf die der Mensch reagiert, mit einem bestimmten Wort versehen wurden. Und wer das einmal wirklich begriffen hat, der sieht die Beeinflussung und Dogmatisierung durch die Sprache in allem und jedem.
Mit dem letzten Atemzug verschwinden sämtliche Konstruktionen, weil sie nur für die Lebenden zum Überleben geschaffen wurden. Nicht nur die religiösen Konstruktionen, sondern auch die Beziehungen zu allem und jedem, was mir auf der Erde begegnet ist. Und mir kann nichts begegnen, zu dem ich keine Beziehung habe.

Trotzdem gibt es intersubjektive Fakten, solange wir lebend auf der Erde sind. Das Merkmal "heiß" ist ein Fakt, darum darf ich nicht auf die Herdplatte packen, wenn sie glüht.
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#33
Hi Mandingo & Karla,
bitte entschuldigt, dass ich auf Eure Beiträge erst mit soviel Verzögerung reagiere - aber ich finde leider nur sehr selten Zeit für etwas umfänglichere Forumsbeiträge.
Mandingo schrieb:Ich kann die von dir beschriebenen Polarisierungen
nicht alle in deinem Sinne nachvollziehen. Es fehlt mir die bescheidene Größe des Nichtwissens von Realität.
[...]
Karla schrieb:Das ist allerdings jetzt wirklich heikel. Unser menschlicher Körper "übersetzt" ja die Außenreize. Wenn keiner mehr da ist, der diese übersetzt, ist da eventuell ein amorpher Klumpen, über den gar keine Aussage gemacht werden kann.
Ich habe die beiden obigen Äußerungen einmal stellvertretend für den (oder zumindest einen) wesentlichen Aspekt Eurer Ausführungen zitiert. Darin wendet Ihr Euch nach meinem Verständnis gegen ein aus Eurer Sicht wohl allzu naives Realitätsverständnis, das den subjektiven Anteil einer bestimmten Klasse unserer Wahrnehmungen und Bewusstseinsgegenstände leugnet bzw. zumindest für vernachlässigbar hält.

Möglicherweise habe ich in meinen Ausführungen einen etwas zu "klotz-reduktionistischen" Eindruck vermittelt. Selbstverständlich teile ich die Einschätzung, dass uns 100%ig objektive Realitätskenntnis nicht möglich ist und dass wir im Prinzip nicht einmal mit Sicherheit sagen können, ob es so etwas wie "Realität" ausserhalb unseres Denkens und Fühlens überhaupt gibt. Eine solpsistische Geisteshaltung ist, genau genommen, nicht widerlegbar.

Nichtsdestotrotz bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass wir bei dem Versuch, die uns erscheinende Welt zu verstehen und zu ordnen, zwischen verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen unterscheiden: Die Dinge der "realen" Welt, die über "Zustände" und "Eigenschaften" verfügen und über Ursache/Wirkungsverhältnisse miteinander verwoben sind, untersuchen wir nach meinem Verständnis nicht ohne Grund in dem paradigmatisch abgegrenzten Bereich der "Naturwissenschaften". Die hier gewonnenen Erkentnisse werden ja gerade deshalb mit dem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit vertreten, weil die den Erkenntnisobjekten innewohnende Seins-Wirklichkeit unabhängig von der Konstruktionsleistung erkennender Subjekte vorausgesetzt wird. Wie sonst würdet Ihr erklären, dass man von jedem Chemielaboranten erwartet, die Aussage "Wasser kocht bei Umgebungsdruck von 1 Bar bei exakt 100°C" als "wahr" zu akzeptieren, während man ihm gleichzeitig einräumt, hinsichtlich der Aussage "Jesus Christus ist der eingeborene Sohn Gottes" eine durchaus abweichende Meinung haben zu können?

Diese aus meiner Sicht essentielle Unterscheidung zwischen "realen" Dingen einerseits und kulturellen Artefakten andererseits (vielleicht ein etwas unverfänglicherer Begriff als "mentale Konstrukte") ist für mich sozusagen die weltanschauliche Grundlage, auf der letztlich auch religiöse Toleranz beruht: Wenn mir klar ist, dass das, was ich "Gott" nenne und dieser Entität an Eigenschaften sowie Wirkmechanismen zuschreibe, keine objektive Entsprechung im naturwissenschaftlichen Sinne besitzt, sondern (im besten Sinne) eine primär sprachlich begründete Verdinglichung zur Beschreibung von (ansonsten schwer fass- und ausdrückbaren) Regungen meiner Seele sind, dann habe ich überhaupt keine Probleme damit, die Ausdrucksformen anderer Kulturen als gleichwertig zu akzeptieren. Umgekehrt hingegen scheinen mir nicht wenige religiös motivierte Auseinandersetzungen und die ewige Streiterei um die "eine" Wahrheit auf der (m.E. eben irrigen) Annahme zu beruhen, hinter dem religiösen Konzept "Gott" stecke eben doch eine letztlich intersubjektiv gültige und von dem denkenden und fühlenden Menschen unbhängige Entität, über deren Wesen und Wirklichkeit schließlich doch verbindliche Einsichten gewonnen werden könnten.

In diesem Zusammenhang finde ich auch die an anderer Stelle von Karla aufgeworfene Frage nach der Bedeutung und Sinnhaftigkeit sog. "Heiliger Schriften" bemerkenswert. Meiner Meinung nach ist nämlich die Verbrämung (z.T doch recht fragwürdiger) religiöser Bekenntnisse zu "heiligen" Texten ein notwendiger Schritt, um die Vorstellung eines objektiv existierenden Gottes gewissermaßen auf eine erkenntnistheoretisch belastbare Grundlage zu stellen. Anstelle der naturwissenschaftlich-rationalen Konzepte wie z.B. "Theorie" und "Experiment" treten "Offenbarungen", und Propheten übernehmen in einer Mittlerrolle die Vermittlung von Erkenntnissen, die als "absolut" zu akzeptieren sind. In der Summe gelten diese "geoffenbarten" Wahrheiten dann als sakrosankt, weil sie sozusagen die elementare Grundlage für die Begründung aller weiteren (und dann mit Bezug auf diese Grundlage durchaus oft sehr rational hergeleiteten) Glaubensaussagen bilden: Viele vordergründig durchaus rationale Argumentationen gläubiger Zeitgenossen, denen ich im Laufe der Jahre begegnet bin, rekurrieren schlussendlich auf die "Heilige Schrift" als Letztbegründung; wer die dort manifestierten "Wahrheiten" dann nicht als "ewig geltend" akzeptiert, ist nicht etwa einfach nur anderen religiösen Ausrucksformen zugewandt, sondern ein "Leugner" und "Ungläubiger", den man wahlweise bekehren oder bekämpfen muss.

In diesem Sinne würde ich denn auch meine Klassifizierung des Gottesbegriffs als "mentales Konstrukt" gern weniger als naive Reduktion auf ein letztlich naturwissenschaftlich fassbares Phänomen verstanden wissen, sondern vielmehr als Appell, bei der Formulierung des Geltungsanspruchs religiöser Überzeugungen sozusagen prinzipiell Bescheidenheit walten zu lassen. Die Akzeptanz anderer Glaubensbekenntisse ist demnach nämlich kein Akt individueller Toleranz, sondern beruht vielmehr auf der vernünftigen Einsicht, dass "Wahrheit" eine höchst untaugliche Kategorie zur Beurteilung von Glaubensüberzeugungen ist.

Aber ich schätze, dass wir in diesem Punkt eigentlich gar nicht so sehr weit auseinanderliegen ...

Viele Grüße
Sangus
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#34
Sangus schrieb:Nichtsdestotrotz bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass wir bei dem Versuch, die uns erscheinende Welt zu verstehen und zu ordnen, zwischen verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen unterscheiden: Die Dinge der "realen" Welt, die über "Zustände" und "Eigenschaften" verfügen und über Ursache/Wirkungsverhältnisse miteinander verwoben sind, untersuchen wir nach meinem Verständnis nicht ohne Grund in dem paradigmatisch abgegrenzten Bereich der "Naturwissenschaften". Die hier gewonnenen Erkentnisse werden ja gerade deshalb mit dem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit vertreten, weil die den Erkenntnisobjekten innewohnende Seins-Wirklichkeit unabhängig von der Konstruktionsleistung erkennender Subjekte vorausgesetzt wird. Wie sonst würdet Ihr erklären, dass man von jedem Chemielaboranten erwartet, die Aussage "Wasser kocht bei Umgebungsdruck von 1 Bar bei exakt 100°C" als "wahr" zu akzeptieren, während man ihm gleichzeitig einräumt, hinsichtlich der Aussage "Jesus Christus ist der eingeborene Sohn Gottes" eine durchaus abweichende Meinung haben zu können?

Was ist den eine den Erkenntnisobjekten innewohnende Seins-Wirklichkeit?
Mir scheint dieser Begriff etwas missverständlich zu sein. Den die Frage nach der Seins-Wirklichkeit ist eine ontologische Frage danach ob eine Sache ist oder nicht ist, und wenn sie ist, wie sie ist! Immerhin hat ein Gedanke von mir, selbst Harry Potter oder sonst eine Fiktion auch eine Seins-Wirklichkeit, insofern sie mehr sind als nichts - Eine Gedanke ist etwas und nicht nichts, weshalb sein Sein wirklich ist.
Folglich ist alles Seiende in sofern es nicht nichts ist, wirklich Seiend!

Daher sagt die Tatsache, dass Wasser bei 1Bar Außendruck und 100°C verdampft nichts über das Wesen des Wassers aus, sondern beschreibt viel mehr eine seiner Eigenschaften. Insofern ist der methodische Zugang, den sowohl die Physik, als auch andere Naturwissenschaften haben, auf die Beschreibung von Verhaltensmuster (Theorien) von diversen Sachen beschränkt. Es handelt sich dabei letztlich nur um eine qualitative und quantitative Bestimmung, die aber unter den genannten Bedingungen als wahr zu bezeichnen sind. Der Satz, dass eine Sache naturwissenschaftlich gültig oder wahr ist, ist also ein bedingter!

Völlig unberührt und auch nicht erklärt wird von deinem Ansatz was eigentlich das Wesen des Wassers ist. Und das meint nicht die Frage nach der chemischen Zusammensetzung (Dihydrogenoxid), sondern viel mehr was das Wasser zu dem macht was es ist.
Vielleicht wird das am Menschen plakativer. Es ist eben völlig unzureichend zu behaupten ein Mensch ist ein Lebewesen mit zwei Armen, zwei Beinen, einem Kopf und er besteht aus jenen und diesen Zellen und Organen. Denn niemand würde einem Amputierten absprechen Mensch zu sein.
Ein Konglomerat an sachlich richtigen und gültigen Aussagen über Eigenschaften und Akzidenzien des Menschen oder einer Sache, sagt noch lange nichts über die Sache an sich aus, sondern nur über sein Verhalten unter bestimmten Bedingungen.

Aber gerade das Wesen einer Sache schreiben wir den eigentlichen Wahrheitsgehalt zu. Denn wie gesagt auch ein amputierter Mensch ist ein Mensch, weil es sein Wesen ist Mensch zu sein und nicht weil er die und die Extremitäten oder bio-chemischen oder bio-physikalischen Eigenschaften hat.

Sangus schrieb:Diese aus meiner Sicht essentielle Unterscheidung zwischen "realen" Dingen einerseits und kulturellen Artefakten andererseits (vielleicht ein etwas unverfänglicherer Begriff als "mentale Konstrukte") ist für mich sozusagen die weltanschauliche Grundlage, auf der letztlich auch religiöse Toleranz beruht:...

Also erst einmal sind Kulturgegenstände und -artefakte nicht zwingend mentale Konstrukte. Zweitens machst du hier einen Fehlschluss den Kant unlängst aufgedeckt hat. Denn das "Sein ist offenbar kein reales Prädikat" (KdrV)!
Würde man dir zustimmen, dass es mentale Konstrukte einerseits (mit einem geringeren Seins- und Wahrheitswert) und den Sachen ex mente die real, also in Wirklichkeit sind, (mit einem höheren Seins- und Wahrheitswert)gibt, dann müsstest du sofort den ontologischen Gottesbeweis von Anselm v. Canterbury (Proslogion) akzeptieren. Da es aber wie Kant deutlich gemacht hat keinen Unterschied in der Sache setzt ob ich über ihre Möglichkeit oder ihre Wirklichkeit spreche, ist deine Unterscheidung hinfällig: "Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff, jene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde, im Fall dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein." (KdrV)


Sangus schrieb:Wenn mir klar ist, dass das, was ich "Gott" nenne und dieser Entität an Eigenschaften sowie Wirkmechanismen zuschreibe, keine objektive Entsprechung im naturwissenschaftlichen Sinne besitzt, ...

Soweit uneingeschränkte Zustimmung. Es gibt keinen durch die Methode der Naturwissenschaften erfassbaren Beweis des Seins Gottes, aber auch keine Widerlegung.
Auch hier noch einmal Kant: "Wo will der angebliche Freigeist seine Beweise hernehmen, dass es kein höchstes Wesen gebe?"

Sangus schrieb:..., sondern (im besten Sinne) eine primär sprachlich begründete Verdinglichung zur Beschreibung von (ansonsten schwer Fass- und Ausdrückbahren) Regungen meiner Seele sind, dann habe ich überhaupt keine Probleme damit, die Ausdrucksformen anderer Kulturen als gleichwertig zu akzeptieren.

Das ist eine ziemlich kühne und unbelegte Behauptung. Erstens kann ich dennoch andere Ausdrucksformen ablehnen. Zwar werde ich dies dann nicht mehr unter Berufung auf heilige Texte, sondern dann unter Berufung auf die Regungen meiner Seele, die eine subjektive Wahrheit für mich bilden.
Zweitens ist deine Definition von Gott als sprachliche Chiffre für seelische Gemütserhebungen völlig unzureichend. Auch wenn Anselms Gottesbeweis im Proslogion nicht haltbar ist, so hat er dennoch recht, wenn er sagt, dass der Begriff Gott immer "dasjenige [bezeichnet], über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann." Und dieser Satz ist selbstevident, ansonsten wäre es nicht Gott. Die Regung meiner Seele kann vieles sein, sie aber als Gott zu bezeichnen wäre eine Selbsttäuschung. Der Begriff Gott stimmt einfach sinngemäß nicht mit der bezeichneten Sache, der Regung der Seele oder auch der reinen sprachlichen Bestimmung, über ein.

Sangus schrieb:Umgekehrt hingegen scheinen mir nicht wenige religiös motivierte Auseinandersetzungen und die ewige Streiterei um die "eine" Wahrheit auf der (m.E. eben irrigen) Annahme zu beruhen, hinter dem religiösen Konzept "Gott" stecke eben doch eine letztlich intersubjektiv gültige und von dem denkenden und fühlenden Menschen unabhängige Entität, über deren Wesen und Wirklichkeit schließlich doch verbindliche Einsichten gewonnen werden könnten.

Das ist gar nicht so falsch...
Der Gottesglaube setzt unbedingt voraus, dass Gott als ens perfectissimum eine eigenständige und unabhängige Wesenheit ist. Und zwar in dem Sinne, dass sie vollkommen und souverän gegenüber jeder anderen Sache ist, folglich auch Inbegriff jeder Wahrheit ist.
Dennoch ist die Frage der Gotteserkenntnis eine andere. Schon Pseudo-Dionysius Aeropagita macht deutlich, dass die natürliche Vernunft unzureichend ist um definitive Aussagen über Gott zu machen. Sowohl der affirmative Weg (Gott ist gut, vollkommen, allmächtig, usw.), als auch der negative Weg (Gott ist nicht Mangel, abhängig, usw.) sagen nichts über das Wesen Gottes aus. Da Gott als das Höchste immer wieder unsere sprachlichen Vorstellungen transzendiert (übersteigt). Albert Einstein fasste diese Erkenntnis so zusammen: "Nicht Gott ist relativ, und nicht das Sein, sondern unser Denken." Nach Ps-Dionysius kann man also nur sagen, dass Gott das Über- Gute, usw. sei.
Thomas von Aquin wird diesen Weg weitergehen und sagen, der Mensch allein kann mit seiner Vernunft nur erkennen das Gott ist und nicht wie er ist. Weiterhin könne man Gott nur deshalb beschreiben, weil wer sich selbst geoffenbart hat und dort beginnt auch der Akt des Glaubens. Aber ein solcher, der mit der Vernunft im Einklang steht.
"fides quaerens intellectum - Glaube, der nach Einsicht sucht!" (Anselm v. Canterbury)

Sangus schrieb:Die Akzeptanz anderer Glaubensbekenntisse ist demnach nämlich kein Akt individueller Toleranz, sondern beruht vielmehr auf der vernünftigen Einsicht, dass "Wahrheit" eine höchst untaugliche Kategorie zur Beurteilung von Glaubensüberzeugungen ist.

Im Gegenteil, sonst wäre das ja ein Freibrief an die Religion. Wenn der Glaube sich nicht an das Maß der Vernunft und damit auch an Wahrheit gebunden ist, so gibt es keinen legitimen Grund eklatante Verstöße der Religionen gegen die Wahrheiten unserer Wirklichkeit zu tadeln.
Die Rationalität, im Wissen darum, dass sie nur armseliges Abbild der göttlichen Vernunft ist, ist meiner Meinung nach für uns Menschen die letzte Instanz nach der wir Glauben beurteilen müssen. Und zwar nicht in dem Sinne, dass alles was wir nicht verstehen in Welt und Glauben sofort aburteilen, sondern dialektisch auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen und reformulieren.
Ein Glaube der nicht Anteil hat an Wahrheit ist nämlich letztenendes bedeutungslos, sowohl was die Deutung dieser Welt, als auch einer Kommenden angeht.

Soweit Presbyter
Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est et speculum.
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Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)
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